Andy: Wie entsteht Gemeinschaft?

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Liebe Forumsbesucher

In den letzten Tagen gab es ja mal wieder einige dieser Threads, in denen es doch sehr stark um "gemeinsame Selbstfindung" ging.

Dass der beliebte Pruegelknabe Dylan der Ausloeser dieser Threads war, sehe ich eher als Zufall oder als "Eigendynamik". Ich halte ihn nicht fuer schlimmer als viele andere. Er hat mal gespammt, eine Privatmail entgegen der Nettiquette mit Absenderidentifikation veroeffentlicht und eine Tendenz, sich in Menscheleien zu verwickeln. Aber er ist damit sicher nicht der einzige, und ausserdem hat er in anderen Threads auch schon gezeigt, dass er durchaus in der Lage ist, fachkompetent mitzudiskutieren. Ich hoffe deshalb, dass sein Name in Zukunft nicht allein schon Reizreflexe ausloesen wird.

Aber eigentlich moechte ich in dieser Message gar nicht ueber die zurueckliegenden Dylan-Threads und die damit zusammenhaengenden Auseinandersetzungen inclusive Duellier-Vorhaben im Chat reden (ich werde am Montag wenn ich Zeit habe anonym im Chat erscheinen, aber ohne Adjutanteninteresse). Ich moechte lieber hier und jetzt etwas allgemeiner ueber "Community" reden.

"Community" ist im Deutschen mit "Gemeinschaft" uebersetzbar, was nur nicht ganz den coolen Internet-Hype-Touch trifft, den dieser Begriff im Englischen derzeit hat. Trotzdem ist es fuer das, was ich versuche hier bewusst zu machen besser, sich an den biederen deutschen Begriff zu halten als an den hippen englischen.

Gemeinschaft entsteht, wenn sich Menschen irgendwie finden und zusammenraufen. Die deutsche Sprache ist manchmal ziemlich genial, auch in diesem Fall: "zusammenraufen" - wenn man sich das mal durch die Sinne gehen laesst, brauche ich gar nicht mehr viel zu sagen. Aus einer heterogenen Gruppe, in der die Mitglieder aufgrund eines losen Interesses (Webseitenerstellung&Co.) aufeinandertreffen und immer mehr voneinander zu hoeren (lesen) bekommen, beginnen sie immer heftiger, aufeinander zu reagieren. Schaut euch manche anderen Foren an, da wird eine Frage gestellt, eine Antwort gegeben, aber es entsteht nichts, passiert nichts weiter. Weil es gar nicht so weit kommt, dass mal jemand dieses Schema zu durchbrechen wagt. Hier habe ich selber natuerlich fruehzeitig dieses Schema zu durchbrechen versucht, weil es mir wichtig war, nicht nur ein seelenloses Frage-Antwort-Forum zu haben. Aber wie sich stattdessen alles entwickeln wuerde, wusste ich auch nicht.

Klar ist nur: wenn man die Seelenlosigkeit durchbricht, wenn das Menschliche ploetzlich durch die Zeilen blitzt, wenn Meinungen, Emotionen sich artikulieren, dann reizt das. Es kommt dann leicht zu "explosiven" Threads, die sich vordergruendig nervig lesen, weil da wieder mal ein paar Hanseln rumflamen. Aber im grunde passiert da etwas ganz und gar Ausserordentliches: Durch ein paar Kilobyte Perl-Code gesteuert, entfaltet sich die gesamte Palette menschlicher Sympathien und Antipathien (ein Effizienz-Index fuer Software, der meines Erachtens derzeit nicht zu ueberbieten ist). Da ist ein Raum, den man sich vorstellen kann, obwohl er nur aus Buchstaben mit ein wenig Layout drumherum besteht. Aber es sind halt Menschen darin, die man mag oder auch weniger. Wie in der Stammkneipe, in der Schulklasse oder im Grossraumbuero.

Es ist deshalb normal, wenn ein gewisser Prozentsatz der Messages (ich schaetze, es sind so um die 10-20%, und das halte ich fuer in Ordnung so) keinem fachlichen Zweck dient, sondern ausschliesslich kommunikativen Zwecken. Wie schon erwaehnt, lesen sich solche Messages manchmal wie olle Privatfehden. Aber nicht selten entsteht durch produktives Gegeneinander neuer Zusammenhalt, Gemeinschaft eben. Und deshalb akzeptiere ich Messages dieser Art, und akzeptiere sie nicht nur, sondern finde sie auch wichtig. Denn das schier unglaubliche fachliche Engagement einiger Leute hier - was glaubt ihr, woher das kommt? Richtig: diese Leute sehen hier eine Gemeinschaft, in der es viele Hilfesuchende gibt, und wo sie als Know-How-Traeger eine wichtige Funktion ausueben koennen. Nicht abstrakt, sondern ganz konkret als Helfer, die auch beachtet werden. Es entsteht das gleiche stolze Gefuehl wie bei den Leuten, die gemeinsam Sandsaecke an bedrohte Deiche schleppen, mit den Fernsehkameras daneben. Solange kein reines Flame-Forum daraus wird, und solange der fachliche Standard gehalten wird (ich habe derzeit nicht den Eindruck, als ob der unter solchen Threads leidet), gehoeren solche Dinge also aus meiner Forumsbetreibersicht zum Alltag.

viele Gruesse
  Stefan Muenz

Hi,

ich bin ganz Deiner Meinung. Was ist denn das Internet? Letztendlich eine Ansammlung von Computern, die aneinanderhängen und Daten austauschen. Menschlichkeit und alle damit verbundenen Eigenschaften wie Freude, Spaß, Befriedigung von Neugier und Wissensdurst können nur dadurch entstehen, daß diejenigen, die dieses Medium benutzen -die Menschen eben- sich auch menschlich verhalten. Und nur da, wo man sich menschlich verhält, fühlt sich ein Mensch i.d.R. auch wohl. Das ist ein Grund, warum ich persönlich auch gerne mal in dieses Forum schaue. Ich habe hier das Gefühl,.daß es keine dämlichen Fragen gibt (bin alles andere als ein Technikfreak *g* und frage eher, als daß ich Antworten gebe) und in den einzelnen Threads auch mal Emotionen rüberkommen, eben menschliche Reaktionen. Und zu menschlichen Reaktionen gehört eben auch, daß sich der eine mal über eine Meinung des anderen aufregen darf, auch wenns vielleicht für wiederum einen anderen mal nicht so passend erscheint.
So, bevor ich mich in philosophischen Ergüssen verliere ein Buchtip zum Thema: "Das Trinkgelage" von Platon (JA der alte Grieche).

Viele Grüße
Andy