SADO: The long now - das lange Jetzt

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Hallo,

Was auch immer man von dem Uhrenprojekt halten mag, an dem unter anderem auch Kuenstler wie Peter Gabriel und Brian Eno mitwirken - sich ueber "grosse Zeitraeume" Gedanken zu machen, ist sicherlich ein Schlag ins Gesicht unserer Zeit. Die naemlich hat sich dem exponentiellen Geschwindigkeitsrausch verschrieben: alle paar Monate verdoppeln sich typische Grenzwerte wie die Anzahl der Seiten im Internet oder die Taktrate der Computerprozessoren. Bei 12 Monaten Verdopplungsgeschwindigkeit und einer Messzeit von 10 Jahren 1024facht sich ein solcher Grenzwert in dieser Zeit. Dem "Fortschritt" kann man bereits zugucken, so schnell ist er. Vor zwei Jahren etwa schimpfte noch fast jeder ueber die Handy's allerorten - mittlerweile hat fast jeder selber eins (das herkoemmliche Telefon hat 20 bis 30 mal so lange gebraucht, um sich zu verbreiten). Frueher, so sagt jemand aus dem long-now-Projekt, frassen die Grossen die Kleinen, heute fressen die Schnellen die Langsamen. Je schneller aber alles gehen muss, desto mehr schwindet aber eben das Bewusstsein fuer die grossen Zeitraeume ...

Ja, das alles spricht mir aus der seele, aber was kann man denn als 'Otto Normalo' gegen diese unmenschliche geschwindigkeit tun? Eher kuriose denn sinnvolle projekte wie jenes mit der 'langzeituhr' sind doch nur hohle gesten und zudem vollkommen weltfremd (der mensch lebt keine 1000 jahre...ok, das ganze hat natürlich symbolcharakter, aber symbole alleine haben bislang noch nie etwas konkretes bewirkt).

Denn eines steht für mich als grund für die vorherrschende menschenunwürdige geschwindigkeit fest: Die menschheit ist zum größten teil auf einen zug aus den USA aufgesprungen der nun durch seine eigendynamik nicht mehr mit moderaten mitteln zu bremsen ist. Dieser zug heißt 'Kapitalismus' und sein motor nennt sich 'Wettbewerb'. Und der wird schneller und schneller und schneller... Nun kann man einwenden, daß wettbewerb an sich schon im guten alten Neandertal herrschte. Gut, das ist richtig, bloß dient uns heute der wettbewerb nicht mehr nur zum nackten überleben und zum durchsetzen unserer eigenen gene in form von nachkommen, sondern dazu, rein egoistische bedürfnisse zu befriedigen, die dann entstehen, sobald die eigene existenz ausreichend sicher ist, welche in unserer neuzeitlichen gesellschaftsform eine fast schon unbegreifbar extreme ausprägung erlangt haben: Gier nach besitz, gier nach macht sei es nun politisch oder auch sexuell, die hemmungslose durchsetzung eigener ziele und das hemmungslose streben nach eigenen vorteilen unter gleichzeitiger erbarmungsloser ausschaltung jeglicher konkurrenz, der verlust jeglicher werte und natürlich auch der verlust jeglicher wert-ähnlicher instinkte die auf das überleben der art und das erhalten natürlicher gleichgewichtszustände abzielen.

Kurz: Der mensch hat sich fast gänzlich seiner biologisch-genetischen kontrollstrukturen entledigt - mit dem bewußtsein und dem selbstverständnis sowie gebaren eines gottes, frei von lästigen instinkten wie 'vermeidung unnötiger grausamkeit' oder 'vermeidung von verbrauch der über die reine notwendigkeit zum fortbestehen hinaus geht', welche ihn kontrollieren, um so ggf. die eigene spezies und das natürliche gleichgewicht zu erhalten, verfolgt er ziele, die von der natur in dieser ausprägung garnicht vorgesehen sind und breitet sich auf dem erdball aus wie eine seuche. Kein tier ist schlimmer, weil kein tier es bislang schaffte, sich seiner genetischen 'programmierung' so weit zu entledigen wie das untier mensch.

Und jeder einzelne von uns steckt in diesem strudel fest, dem strudel einer gesellschaft, die wir uns erschaffen haben wie einen golem und die uns nun -in form verschiedenster sachzwänge und einer schicht privilegierter ausbeuter- kontrolliert und uns ihren takt aufzwingt. Und dieser takt wird - wie festgestellt - schneller und schneller. Und damit einhergehend vergrößert sich in gleicher geschwindigkeit auch das ungleichgewicht zwischen denen die fast alles und denen die fast nichts mehr haben!

Fazit? Also ich versuche täglich - mit meinen ganz bescheidenen begrenzten mitteln und ohne daß es mich meine existenz kostet - diesem trend ein wenig entgegenzusteuern. Durch sozialen ungehorsam, verweigerung und passiven widerstand, desinformation, dem in-frage-stellen von wirklich _jeder_ reglementierung und vor allem auch - womit wir vielleicht wieder ansatzweise beim thema wären ;) - durch _verzögerung_ und sabotage von dingen, die man mir auferlegen will. Auch ich bin natürlich zwangsläufig angepaßt und kein absoluter anarchist (auch ich muß um mein überleben hier kämpfen, muß also geld verdienen). Aber ich _versuche_ zumindest jeden tag die grenze dessen auszuloten und behutsam zu erweitern, was denn nun alles verzögert und sabotiert werden kann, ohne daß ich als konsequenz dessen mir selber größeren schaden zufüge.
Lange rede kurzer sinn: Wenn alle so handeln würden, könnten wir evtl. die gesellschaft 'bremsen' und die unliebsame entwicklung hindern. Gut, daß ist bei weitem nicht genug, denn es wird den zug nicht stoppen. Jedoch halte ich es für weitaus mehr, als eine kindische uhr zu bauen und naiv darauf zu hoffen, daß sich dadurch dinge ändern. Dann können wir gleich darum beten...

--SADO

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