Hallo.
Lass mich dir eine kurze Geschichte erzählen, wie sie sich vor nicht einmal zwei Wochen zugetragen hat:
Ich wollte einen Freund besuchen und wartete vor dessen Haustür auf Einlass. Weil es länger dauerte, ging ich noch ein wenig vor der Tür auf und ab, als ich aus dem Augenwinkel etwas die Mauer entlang nach unten fallen sah. Es landete offenbar im Gebüsch oder im Blumenbeet und weil ich nichts weiter hörte oder sah, nahm ich an, ein Balkonkasten habe sich aus seiner Verankerung gelöst.
Von der anderen Straßenseite näherte sich mir dann aber ein Mann, der aufgeregt auf das Vordach deutete und meinte, dort läge jemand, der gerade aus Fenster gefallen sei. Jetzt sahen wir beide, dass sich tatsächlich etwas auf dem Vordach bewegte.
Über Rankhilfen gelangte ich auf das kiesbedeckte Vordach und vor mir lag eine Frau. Sie war vielleicht Mitte sechzig, bewegte sich ein wenig und antwortete auf meine Ansprechversuche. Sie gab mir unmissverständlich zu verstehen, dass sie nicht gefallen, sondern aus dem dritten oder vierten Obergeschoss gesprungen sei.
Da ich ihre Lage nicht beurteilen konnte, sorgte ich nur dafür, dass sie sich nicht weiter bewegte und sprach mit ihr, um sie nicht ohnmächtig werden zu lassen.
Nur kurze Zeit später kamen die zwischenzeitlich von den Nachbarn alarmierten Notdienste: Notarzt, Sanitäter, Feuerwehr, Polizei. Die Drehleiter wurde in Position gebracht und während zu meinen Füßen das Notarzt-Team die Frau versorgte, sah ich, wie sich rundherum immer mehr Menschen einfanden. Aber kaum einer von ihnen kannte die Frau, die eine ihrer Nachbarinnen war.
Inzwischen machte die Frau auch gar nicht mehr den Eindruck, nicht mehr leben zu wollen. Vielmehr gab sie Auskunft über ihren Zustand und unterstützte die Transportbemühungen der Sanitäter nach Kräften. So lag sie kurze Zeit später im Rettungswagen und wurde nach kurzer Zeit zur Weiterbehandlung ins nur wenige Minuten entfernte Krankenhaus gebracht.
Ich war froher Hoffnung, die Frau nicht zum letzten mal gesehen zu haben, doch es kam anders: Der eigens zum Weitertransport in eine Spezialklinik angeforderte Hubschrauber kam, wurde aber nicht mehr benötigt. Die Frau war ihren Verletzungen erlegen. Als ich sie zuletzt gesehen hatte, wollte sie leben, aber ihre vorherige Entscheidung war unumkehrbar.
MfG, at