Alexander (HH): OT: Stereoanlage für ältere Dame

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Moin Moin!

Es sollte eigentlich laufen, aber ich möchte es ohne Vortrafo nicht benutzen.

Warum nicht? Wenn das Radio technisch ok und unverbastelt ist, spricht nichts dagegen.

Ich habe mal - weiß schon gar nicht mehr wo - gelesen, dass die Röhren u. U. die höhere Spannung von 230 V gegenüber früher 220 V nicht so gut vertragen und schneller altern. Und es soll ja noch ein Weilchen halten, das gute Stück.

Teilweise richtig. Die meisten Radio-Röhren werden mit 6,3 V geheizt, einige auch mit 12 V (und einige sehr exotische mit ganz anderen Spannungen). Dazu gibt es entweder eine eigene Wicklung auf dem Netztrafo (teilweise ist der Trafo sogar NUR für die Heizung da), oder man hängt (wenn man genügend Röhren verbaut hat) alle Heizungen hintereinander wie bei einer Weihnachtsbaumkette. Letzteres klappt aber nur, wenn die Heizung von der Kathode isoliert ist.

Du kannst dir jetzt mal stumpf per Dreisatz ausbrüten, dass bei einem Trafo, der auf 220 V zu 6,3 V ausgelegt ist, aber mit 230 V betrieben wird, am Ende 6,3 V * 230 / 220 herauskommt, knappe 6,6 V. Oder nicht ganz zufällig 5% mehr. "Dat macht nüscht!"

Dann kannst Du Dir noch das Typenschild Deines Radios ansehen, dort findest Du mit ziemlicher Sicherheit für die Netzeingangsspannung die Angabe 220 V ~ +/- 10 %, also 198 V .. 242 V. Aktuell kommen aus der Steckdose 230 V +/- 5 %, also 218,5 V .. 241,5 V. Das paßt also durchaus.

Mit etwas Glück hat das Radio auf der Rückseite einen Spannungswahlschalter, je nach Model hat man da nur die Wahl zwischen 110 V und 220 V, oder aber auch noch 120 V und 240 V, gelegentlich noch eine krumme Spannung dazwischen. Wenn Du also sehr besorgt um Deine Röhren bist, stellst Du den Schalter von 220 V auf 240 V um, hast dadurch minimal kühlere Röhren und minimal geringere Ausgangsleistung.

Bei einigen Geräten liegt der Schalter innen, oder die netzseitige Verkabelung des Trafos muß umgelötet werden, einige ganz trickreiche Geräte haben auch stumpf mehrere Sicherungshalter, mit denen man Jumper-artig die Eingangsspannung wählen kann. Für alle Fälle aus diesem Absatz gilt: Stecker ziehen, Gerät einige Stunden entladen lassen, und auch dann am besten nur einen Fachmann den Eingriff vornehmen lassen. Mißachtung kann tödlich sein!

Viele alte Röhrengeräte legen stumpf eine der beiden Netzleitungen oder Netzmitte auf das Metall-Chassis oder im Gerät frei liegende Metallteile. Erschwerend kommt hinzu, dass Röhrengeräte generell sehr hohe Betriebsspannungen brauchen, 300 V bis 600 V Anodenspannung sind durchaus üblich und bei Berührung auch gelegentlich mal tödlich.

Und damit der geneigte Radiobastler auch wirklich ausgerottet wird, wird oft die Netzspannung ohne Netztrennung gleichgerichtet und mit einem großen Elko gesiebt. Das Radio kann also ahnungslose Bastler auch dann noch killen, wenn es nicht mehr in der Steckdose steckt.

Fast schon nur noch zur Unterhaltung: Nicht alles, was in Röhrengeräten nach Trafo aussieht, macht auch Netztrennung. Spartrafos erzeugen mit wenig Aufwand eine andere Spannung, auf Kosten der Netztrennung. Die sind natürlich auch tödlich, wenn man sie für netztrennende Trafos hält.

Und nun die große Frage: Warum durften solche Killer überhaupt verkauft werden?

Weil sie keine externen Anschlüsse hatten! Kein Line-In, kein Kopfhörer, nur einen Antenneneingang. Das gesamte Innenleben war ausreichend vor Berührungen durch den Benutzer geschützt, und für die Antenne hat man einen winzigen Trenntrafo eingebaut, der wesentlich billiger als ein fetter, galvanisch trennender Netztrafo war. Für die ersten Kopfhöreranschlüsse gab es übrigens auch Trenntrafos, damit die Kopfhörerbuchse potenzialfrei war.

Gelegentlich gab es auch einen Lautsprecher-Anschluß, natürlich potenzialfrei, quasi als Abfallprodukt. Röhren können zwar mit recht hohen Spannungen arbeiten, aber einen Lautsprecher mit 4 oder 8 Ohm anzusteuern, der im wesentlichen Strom braucht, wäre echte Quälerei gewesen. Daher treibt/en die Endstufenröhre/n IMMER einen Trafo, der aus viel Spannung und wenig Strom wenig Spannung und viel Strom macht. Dort ist also zwangsläufig eine Potenzialtrennung, und dort ist es dann auch kein Problem, einen LS-Anschluß herauszuführen. Man muß nur darauf achten, dass die Ausgangsimpedanz des Trafos zur Impedanz des Lautsprechers paßt, sonst gibt es Fehlanpassungen, die Trafo und Endstufenröhren killen. Besonders Leerlauf des Trafos muß man unbedingt vermeiden.

Zum temporären Betrieb von Geräten an Trenntrafos hab ich in http://forum.de.selfhtml.org/archiv/2010/5/t197844/#m1329142 schon mal was gesagt: Trenntrafos schützen vor einigen Dämlichkeiten, aber nicht vor allen.

Alexander

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Today I will gladly share my knowledge and experience, for there are no sweeter words than "I told you so".