Auge: Barrierefrei - was ist das eigentlich?

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Hallo

der Begriff „barrierefrei“ geistert immer wieder durch unsere Fäden für die Webseiten-Gestaltung. Was ist das eigentlich?

Zu dieser Frage hast du ja nun genug konkrete Antworten bekommen.

… Wobei ich mir die Frage stelle, warum du diese Frage fast ausschließlich mit Anekdoten unterfütterst, die mit der Fragestellung nichts zu tun haben oder die du derart auf einen Aspekt verkürzt, dass sich zumindest bei mir Eindruck ergibt, dass du das Thema ins Lächerliche ziehen willst.

Das Thema selbst wird hier ja nicht nur immer wieder erwähnt, sondern auch immer wieder begründet und mit Empfehlungen unterfüttert. Dass du die Erwähnungen – wie du selbst schreibst – bemerkt hast, die Argumente und Handlungsempfehlungen, die üblicherweise in den selben Threads gebracht werden, aber nicht, halte ich nicht für glaubwürdig. Auch das stützt meinen Eindruck, dass du das Thema ins Lächerliche ziehen willst.

Das will ich nur vorneweg geschrieben haben, weil du ja in einem anderen Posting den unverstandenen Narren gibst.

Ich biete einen Veranstaltungskalender an. …

Für Rollstuhlsitzende ist eine Treppe eine Barriere, deshalb kann bei jedem Event „rollstuhlgerecht“ (Checkbox) markiert werden.

Was hat das mit der Barrierefreiheit einer Website zu tun?

Ich gehe davon aus, dass z.B. Chöre keine Ahnung davon haben, ob bei ihrem Auftritt in Kirche X oder in Kozertmuschel Y die Toiletten per Rollstuhl erreichbar sind. Deshalb recherchiere ich persönlich, ob angegebene Treffpunkte rollstuhlgerecht sind, es gibt in meiner Datenbank eine Tabelle „treffpunkte“. Meistens kann ich diese Information im Web nicht finden und die wenigen Aussagen beschränken sich auf die Lokalitäten, die ich persönlich kenne.

Was hat das mit der Barrierefreiheit einer Website zu tun?

In Berlin gibt es den Verein Sozialhelden, die haben ein Verzeichnis und eine Landkarte von rollstuhlgerechten Adressen. Vor Jahren habe ich mich um Zusammenarbeit bemüht, um lesenden Zugriff auf deren Datenbank. Das Interesse war Null.

Von wheelmap.org habe ich vor fast zehn Jahren erstmals in einem Podcast gehört. Die Gesprächspartner kamen mir damals nicht wie Heimlichtuer vor, das Projekt stand aber noch ziemlich am Anfang. Mittlerweile gibt es von den Betreibern von wheelmap.org eine grundsätzlich weltweite Datenbank über (unter Anderem für Rollstuhlfahrer) (nicht) erreichbare Orte, die von Außenstehenden per API abfragbar ist.

Du könntest also selbst sowohl vom Datenbestand profitieren als auch zum Datenbestand beitragen.

Jeder ist aus seiner Sicht der Größte, und mein unbedeutender Event-Kalender möchte das mühsam erarbeitete Know-How zum Nulltarif anzapfen. Geht gar nicht.

Bist du bockig?

Welche Barrieren - bezogen auf die Bedienung von Webseiten - gibt es noch?

Wieso noch? Deine bisherigen Beispiele hatten samt und sonders nichts mit der Barrierefreiheit von Websites zu tun.

Geistig behindert - Leute mit sehr - wie formuliert man das politisch korrekt? - kleinem geistigen Horizont. Ich bemühe mich für die Oberfläche um eine einfache deutsche Sprache, bin aber bei der Übersetzung nach en und nl nicht wirklich kompetent.

Wie schon mehrfach gesagt, ist Barrierefreiheit ein anzustrebendes Ideal. Eine hundertprozentige Barrierefreiheit ist nicht erreichbar, sollte aber angestrebt werden.

Wenn du also für deine Muttersprache eine einfache Sprache benutzt, ist das ein Schritt dahin. Wenn du das für andere angebotene Sprachen nicht kannst, ist das erstmal so. Bestenfalls findest du jemanden, der dich dabei unterstützt. Das ist zumindest eine Option.

Optisch behindert - Haben die einen Screenreader installiert, der den Text vorliest?

Vielleicht haben sie das, vielleicht haben sie auch nur Bedarf an einem hohen Kontrast, einer nicht fitzeligen Schriftgröße beziehungsweise daran, diese ohne durch CSS daran gehindert zu werden, zu verändern. Vielleicht haben sie auch Probleme mit für sie nicht auseinanderhaltbaren Farbkombinationen (beispielsweise bei Rot-Grün-Schwäche) oder allgemein mit Farben, so dass Signale nicht ausschließlich über Farben sondern auch über Text vermittelt werden müssen, um keine Barriere errichtet zu haben.

Keine Ahnung, wie diese Leute Links anklicken und sich auf Webseiten bewegen.

Die Bedienung einer Seite per Tastatur wäre eine Antwort.

Akustisch behindert - ist vermutlich das kleinste Problem, die können die eingebundenn Audio-Dateien nicht hören. Aber interessieren sich diese Leute für Konzerte und Vorträge in meinem Kalender?

Davon, dass Gehörlose Musik nicht akustisch, aber auf anderem Wege wahrnehmen, wurde hier schon geschrieben. Dass Gehörlosigkeit nicht die einzig mögliche Einschränkung dieses Sinnes ist, sollte nach den diversen Beispielen für Einschränkungen des Sehsinnes so klar sein, wie Kloßbrühe.

Ebenfalls in D: Busse des öffentlichen Nahverkehrs senken sich an Haltestellen ab, um rollende Fahrgäste aufzunehmen. In 10 Jahren vielleicht 5 Rollstühle gesehen, öfter aber Kinderwagen und Fahrräder.

Für Kinderwagen und Fahrräder ist diese technische Vorrichtung genauso gedacht, wie für Rollstühle. Warum konstruierst du hier einen Gegensatz? Davon abgesehen ist deine Beobachtung über gerade einmal fünf Rollstuhlfahrer und -innen, die dir in zehn Jahren im Bus begegnet sind, auch nur anekdotisch. Ich könnte als Bewohner einer Großstadt dagegenhalten, dass ich eine Zählung der besagten Anzahl an Rollstuhlfahrern binnen weniger Tage zusammenbekomme.

Man kann auch argumentieren, dass es ja nicht nur der Bus ist, mit dem man fährt, sondern auch die Gegebenheiten an Ziel der avisierten Fahrt. Wenn ich zum Amt X muss, dort aber, nachdem ich mit dem Bus „angereist“ bin, mit dem Rollstuhl nicht oder nur beschwerlich ins Amtsgebäude komme, dann bitte ich jemand anderen, das für mich zu erledigen. Dann siehst du mich aber auch nicht im Bus und kannst mich nicht zu den 0.5 Rollstohlfahrern/Jahr hinzuzählen.

Du siehst mich auch nicht, wenn ich mit dem Bus fahre, du aber nicht. 😉 Und mit der Barrierefreiheit einer Webseite hat auch dieses Beispiel überhaupt nix zu tun.

Mein Fazit: Behinderte interessieren sich in D nicht für den Besuch von Events, warum also sollte ich meine Webseiten behindertengerecht erstellen?

Ist das vielleicht ein Henne-Ei-Problem? Wie kann jemand von Events erfahren, wenn sie oder er maßgeblich auf Informationen von Webseiten angewiesen ist, dort aber auf Barrieren trifft, die die Informationbeschaffung be- oder gar verhindern?

Für welche Webseiten macht das Sinn? Okay, wenn ich was verkaufen möchte vielleicht.

Es hat für alle Seiten Sinn. Du willst doch etwas verkaufen, oder? Du willst doch ein Schwarzes Brett für Veranstaltungen sein, das sowohl von einer möglichst großen Anzahl von Veranstaltern als auch von einem möglichst großen potentiellen Publikum benutzt wird?

Zudem nutzen nicht vorhandene Barrieren nicht nur denen, denen du sie bewusst aus dem Weg räumst oder erst gar nicht in den Weg stellst, sondern auch allen anderen, die deine Seite benutzen.

  • Eine klare Aufteilung der Bedienelemente und Inhalte erhöht die Übersichtlichkeit einer Seite. Das nutzt allen.
  • Ein hoher Kontrast zwischen Schrift und Hintergrund erhöht die einfache Erfassbarkeit eines Textes. Das nutzt allen.
  • Eine Signalgebung (zum Beispiel für noch freie Plätze an einem Veranstaltungsort) in Signalfarbe und Text verbessert die Erfassbarkeit des Signals. Das nutzt allen.
  • Eine semantisch sinnvolle Struktur einer Seite nutzt nicht nur den Benutzern von Screenreadern sondern auch der Durchsuchbarkeit durch die Bots von Suchmaschinen. Wenn sich damit das Ranking in den Suchergebnissen verbessert, nutzt das den Besuchswilligen deiner Seite und auch dir als Seitenbetreiber; also wieder allen.

Ja, barrierearme (wegen des unerreichbaren Ideals „freie“) Webseiten machen zusätzliche Arbeit. Man muss darüber nachdenken, Barrieren erst gar nicht zu errichten, aber auch, althergebrachte, in dieser Hinsicht nachteilige Techniken in den Ruhestand zu schicken und durch andere, bessere Techniken zu ersetzen oder im einen oder anderen Fall ganz auf Vergleichbares zu verzichten. Das erhöht (mindestens) den konzeptionellen Aufwand. Aber unabhängig von den gesetzlichen Vorschriften für bestimmte Webangebote, unter die dein Angebot wohl nicht fallen wird, will mir kein Grund einfallen, eine Seite nicht möglichst gut zugänglich oder für bestimmte Besuchergruppen bewusst unzugänglich zu machen.

Tschö, Auge

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Ein echtes Alchimistenlabor musste voll mit Glasgefäßen sein, die so aussahen, als wären sie beim öffentlichen Schluckaufwettbewerb der Glasbläsergilde entstanden.
Hohle Köpfe von Terry Pratchett