Sven Rautenberg: Die Crux mit den ausgereiften Loesungen und dem Normal-User

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Liebe Forumer,

Moin, lieber Stefan!

Warum aber verliert Perl an Boden gegen PHP (das ist nicht zu leugnen, ebensowenig wie zu leugnen ist, dass Perl so ausgereift und eigentlich so prima geeignet ist fuer CGI)? Und warum gelingt es der Unix-Welt trotz der immer weiter wachsenden Sympathie in der breiten Anwenderschaft nicht, mehr als ein paar Prozent im Betriebssystemmarkt zu erreichen, obwohl jeden Tag zigtausend Leute mehr merken, wie undurchsichtig und hirnrissig vieles Interne (ich rede nicht von der Oberflaeche) in der Windows-Welt geloest ist?

Ich persönlich bin von der Eignung von Linux für den Desktop noch garnicht mal so überzeugt. Braucht es ein ausgewachsenes Multiuser-Multitasking-Betriebssystem, damit ein einzelner User an seinem lokal vorhandenen Rechner einen Mauspfeil bewegen kann?

Ich bin da eher in der Wunderwelt der Serverdienste zu finden. DA ist mit Linux vieles sehr einfach und lizenzkostenmäßig auch absolut zum Nulltarif zu kriegen - es braucht eben nur ein wenig Beschäftigung mit der Materie und der Doku. Windows ist _mir_ in dieser Hinsicht einfach zu kryptisch! Exchange-Server aufsetzen? Geh' mir weg damit! ISS konfigurieren? Bäh! Alles noch nie gemacht (zum Glück, wie ich finde), und wenn es damit Probleme gibt, darf man dem Support von Microsoft ordentlich Geld hinterherwerfen, sofern man nicht in der Knowledge-Base eine Lösung findet. Das ist auch eine Art von elitärer Abkapselung. ;)

Tja - aber wenn man die grosse Masse erreichen will, dann muss man eben die Sprache der grossen Masse sprechen, man darf sich nicht abschotten, man muss auch eine Verwaesserung urspruenglichen Gedankenguts in Kauf nehmen.

Das zu akzeptieren dürfte vielen Leuten schwerfallen. Die wollen einfach nicht, daß eine Horde wildgewordener Neulinge ihre schöne Community kaputtmacht.

Diese Diskussion ist aber so alt wie der AOL-Zugang zum Usenet. <eg>

Was (offenbar) fehlt, ist ein Platz für eben diese Neulinge, die mal reinschauen wollen, was es mit diesem und jenem mystifizierten Softwareobjekt so auf sich hat. Abseits der Geheimbünde, aber mit der Unterstützung einiger "Dritte-Welt-Missionare", die den Leuten nicht nur sagen, was sie installieren müssen, sondern auch wie, und was sie hinterher mit dem System tun können.

Installationen muessen massenuser-tauglich werden, Dokumentation muss vom hohen Ross der foo-bar-Moenchslektuere herunterkommen, und in Newsgroups, Foren und Mailinglisten muessen mal auf die vielen Anfaengerfragen Antworten wie "RTFM: perldoc -xclknfasdgkl bla" verschwinden.

Die Installation ist schon ziemlich massenuser-tauglich. Ich hab Mandrake 8.1 installiert. Die Installationsroutine entdeckte sogar die USB-Maus an meinem Laptop! Und auf dem installierten Rechner tauschte ich die Netzwerkkarte aus, weil die alte mangels Treiber nicht wollte: Schon beim nächsten Systemstart setzte die Hardwareerkennung ein und fragte mich, was ich mit der (jetzt endlich erkannten) Netzwerkkarte tun wolle. Ich fühlte mich wie bei Windows, und das trotz Kommandozeile. ;)

Das Argument gegen Linux wegen zu kryptischer Installation gilt IMHO nicht mehr. Das einzige Argument gegen eine Linux-Installation ist Reizüberflutung bzw. Programmüberflutung. Ohne das Wissen eines erfahrenen Users, was man wirklich an Programmen braucht, ist man da hoffnungslos verloren. Dreißig Texteditoren, zwanzig Desktop-Manager, fünf EMail-Clients, sieben EMail-Server, ein Webserver ;), hundert Spiele, vier Office-Pakete, fünfzig Programmiersprachen ... wer da nicht weiß, was er will und braucht, geht in einer Flut von Vielfalt unter. Da wird das bei Windows sehr spärlich ausgestattete Start-Menü den Bildschirm eines Linux-Desktops erstmal komplett überdecken.

Solange an diesen entscheidenden Punkten kein Umdenken stattfindet, bleibt der "Normal-User" in den Haenden von Windows, AOL und Co., und der Traum von einer transparenten EDV-Welt bleibt weiterhin ein Traum, der mit der 5%-Huerde kaempft.

Ich denke nicht, daß man von den Millionen Windows-Nutzern erwarten kann, daß diese ihr von Generation zu Generation weitergegebenes Wissen auf einen Schlag auf Linux umstellen können. Dazu hat Windows einfach noch einen zu großen Vorsprung. Ich wage auch zu behaupten, daß bei Windows am Anfang die gleichen Probleme bestanden: Ignoranz der Wissenden gegenüber den Unwissenden. Nur ist das schon so lange her, daß sich heute niemand mehr daran erinnert. Bzw. die breite Masse damals noch nicht im Internet war, wo es relativ einfach ist, Ignoranz zu zeigen. Damals wurde Wissen noch mündlich überliefert. ;)

PHP ist meiner Ansicht nach uebrigens hauptsaechlich deshalb beliebter als Perl, weil man dort besser versteht, sich dem "Normal-User" verstaendlich zu machen. Man versucht ihm entgegenzukommen und nicht, ihn vor einem Denkmal zum Niederknieen zu zwingen.

Vor allem enthält PHP explizit die Funktionen, die man für die Anwendung im Internet braucht, während man bei Perl für speziellere Sachen entweder eine eigene Funktion schreiben muß (und damit von seinem eigentlichen Ziel abgelenkt wird), oder ein Modul unter tausenden finden muß, von dem unsicher ist, ob es auf dem Zielsystem auch installiert ist. Bei PHP ist nur die Unsicherheit, ob die vorhandene PHP-Version das Feature schon beherrscht, und das ist relativ gut dokumentiert.

Perl-Freaks, OpenSourcler und Free-Unixer: It's yours!

Ich bin ein "Mischer" - ich hoffe, ich durfte auch. ;)

- Sven Rautenberg